Als Schatten bezeichnet man alle unbewussten Anteile im Menschen. Darunter fallen zum einen alle verdrängten Vorkommnisse und Erlebnisse, unbewusste Prägungen, Steuerungsmechanismen, die uns nicht bewusst sind und Eigenschaften, die wir lieber im Anderen als in uns sehen würden. Es können aber auch bisher verborgene Talente und Gaben sein, die wir entweder nicht ausleben durften oder die uns noch völlig unbekannt sind. Der Schatten ist auch all das Unbewältigte der eigenen Lebensgeschichte, das der Vorfahren über mehrere Generationen hinweg und all die nicht integrierten Themen des Volkes einer Nation, als auch das aller Kulturen und Nationen im Laufe der Evolution.
Die Eroberungsvölker haben beispielsweise den Schatten der Unterwerfung auf andere Kulturen gelegt, der Nationalsozialismus den der Selektion usw..
Der Schatten wird meist gefürchtet, weil wir ihn mit Verurteilung assoziieren – wenn wir aber verstehen, dass es sich nur um gebundene Lebensenergie handelt, die uns in starrer Form nicht zur Verfügung steht, so können wir beginnen ihn leichter zu akzeptieren, uns ihm zu widmen ihn bewusst zu machen und ihn Schritt für Schritt zu integrieren. Dieser Prozess wird nie vollendet werden können, da er zu komplex ist und viele Ebenen des menschlichen Bewusstseins beheimatet.
Die Angst vor dem Schatten ist oft größer als die tatsächliche Auseinandersetzung mit ihm später rechtfertigt. Wie ein riesiger an die Wand geworfener Schatten unserer Person erscheint er uns dann übermächtig und bedrohlich. Machen wir uns aber klar, dass ohne Schatten die sengende Sonne eine vernichtende Wirkung hat und automatisch zu jeder manifestierten Form auf dieser Welt dazu gehört, können wir einen anderen Blickwinkel für ihn gewinnen. Das Potential des nicht integrierten Schattens liegt darin, dass wir ihn generell und gerne auf andere projizieren und ihn damit von uns abspalten und das Unangenehme, Böse oder Unerwünschte nur im anderen sehen. Für den Moment macht es uns dann erhaben, wir fühlen und gut und „besser“ als das Gegenüber. Damit vollziehen wir eine unnatürliche Trennung vom Menschlichen im anderen. Was wiederum in Form von Ärger, Lästern und Wut viel Lebensenergie bindet und im Körper zu Anspannung und Verspannung führt. Wenn wir beginnen mit dem Schatten zu arbeiten und uns allmählich klar wird, dass wir in jeder Schuldzuweisung oder emotionalen Reaktion auf unser Gegenüber einen eigenen Schattenanteil projiziert haben – und zwar grundsätzlich- so kann es dazu führen, dass wir still werden und erschrocken über die vielen blinden Flecken in unserer eigenen Persönlichkeit sind. Der Schatten ist auf individueller, familiärer, sozialer, gesellschaftlicher und kollektiver Ebene in den unterschiedlichsten Blüten und Ausprägungen zu finden. Da eines der größten Grundbedürfnisse des Menschen darin besteht, sich einer Gruppe zugehörig fühlen zu wollen, wird er auf alles „Fremde-Unbekannte“ an sich geworfen. Damit verschatten wir andere Menschen und schreiben ihnen all jene Eigenschaften zu, die gemeinhin als nicht besonders erstrebenswert gehalten werden. Gleichzeitig wird die eigene Gruppe von diesen unangenehmen Eigenschaften freigesprochen. Wird diese Verschattung geschürt, kann sie sehr schnell Wege in Konflikte und Auseinandersetzungen ebnen.
Der integrale Ansatz in der Tiefenpsychologie macht es möglich, sich die Schattenaspekte bewusst zu machen, mit ihnen zu arbeiten und sie zu integrieren.
Dies ist ein Lebenslanger Prozess, der dazu führt, dass unsere eigene Persönlichkeit erstarkt, wir immer mehr in der Lage sind Rollen abzulegen und uns immer tiefer erkennen und führt dazu, dass der Zugang zu unserem eigentlichen Kern, unserer Mitte immer weniger verstellt ist. Wir werden als Mensch ganz und erkennen an, dass der Schatten zu uns gehört wie die Luft zum Atmen. Die Erkenntnis, wie sehr wir mit Handlungen aus den unbewussten Schattenaspekten heraus Menschen verletzen und ihnen Dinge zuschreiben, von denen wir gar nicht wissen, ob sie stimmen, kann sehr schmerzhaft sein.